FutureBrownSpace1 ist ein Forschungsprojekt von John-Paul Zaccarini, Professor für Darstellende Kunst für Körper- und Stimmpraktiken an der Universität der Künste Stockholm (SHK).
FutureBrownSpace
Schwarze Ästhetik in weißen Zirkusräumen
Ein Text von John-Paul Zaccarini
Das Ziel von FutureBrownSpace ist es, Forschungsmethoden zu entwickeln, die Künstler:innen of Color Raum in den überwiegend weißen Institutionen und Praxisfeldern schaffen, frei vom Druck des „weißen Blickes“. Eines dieser Praxisfelder ist die zeitgenössische Zirkusausbildung und -produktion. Ein Schlüsselelement der Methode ist die Förderung von Generativität, denn oftmals wird diese durch unbewusste Affekte behindert, die mit der Präsenz, Bewegung und dem Sprechen Schwarzer Körper innerhalb weißer Räume aufkommen. Daher prüfen wir in unserer Prototypisierung wie dies innerhalb Brauner separatistischer Räume aussehen, sich anfühlen und zum Ausdruck gebracht werden könnte. Und akzeptieren dabei, dass wir bislang noch keine Vorstellung davon haben, wie so etwas im Endeffekt eigentlich aussehen könnte. Eine „Black Agency“ oder Schwarzes Handlungsvermögen, das losgelöst ist von der Bedeutung des Weißseins, ist eine Fantasie, der man sich nur durch Kunst annähern kann; durch Literatur, Film, Zirkus. Dieser Prozess des Experimentierens mit einer oxymoronischen „Schwarzen Freiheit“ nimmt durch kreative, psychoanalytisch geprägte Schreibpraktiken Gestalt an, die sowohl in den sogenannten Black Studies als auch der verkörperten Erfahrung des Schwarzseins in der Diaspora in Schweden, Europa und den USA verankert ist und wird von über 300 Akteur:innen aus den Bereichen Zirkus, Tanz, Psychologie, Diversity-Beratung und bildende Kunst praktiziert. In diesem separatistischen Raum fungiert das fiktive Schwarze Unbewusste als imaginative Plattform für die Kreation künstlerischer Ideenwelten, und so entsteht eine neue Beharrlichkeit, durch die es möglich wird, durchmischte Räume wieder zu betreten und der Angst und Unbehaglichkeit, die diese rassifizierten Dialoge und beide Seiten der sogenannten „Color-Line“ prägen, mit Sanftheit zu begegnen. Das Unbehagen, das einst dem Dasein der Andersartigen zugeschrieben wurde, wird so zum Standard für alle. Wir alle werden zu „Andersartigen“ und daher sollte es auch, nachdem wir die sieben Phasen der Schwarzen Trauer durchlebt haben, im Interesse aller sein, die Obsoletheit des Konzeptes der Rasse einzuläuten. Dieser Prozess soll festgehalten und als Arbeitsbuch von FutureBrownPress veröffentlicht werden.
In diesem Artikel nutze ich die stilistische Form des Memoires, um das Theoretische in die verleiblichte Erfahrung der Intersektionalität einzubetten. Darin beschreibe ich die Entstehung einer queeren, afro-pessimistischen Zirkusfantasie, performt, nicht von Opfern, die von der Interpellation eines normativen, dominierenden Weißseins geprägt sind, sondern durch die aktive Vorstellungskraft Schwarzer und POC-Akteur:innen.
Hier geht es zum Video von Brother - an intersectional revenge fantasy.2
Das Fantastische, im psychoanalytischen Sinne, ist womit wir nun arbeiten. Die Ästhetik war immer auf unserer Seite – wenn weiße Konsument:innen uns um unseren Rhythmus beneiden, den dazugehörigen Blues jedoch verschmähen, ist es nun vielleicht an der Zeit – im Einklang mit Fred Moten – dass wir unseren Blues auf affirmative Weise aktivieren. Die Videoarbeit Brother dient als eine Pädagogik in Bezug auf die Themen, Rassifizierung, Privilegien, normative Heterosexualität und künstlerische Repräsentation Sie richtete sich unter anderem an weiße, männliche Circus-BA-Studenten, die in Zusammenarbeit mit uns einen Beitrag über strukturellen Rassismus für die Seminare der Universität entwickelt haben. Es handelt sich um die erste Arbeit, die im Rahmen von FutureBrownSpace entstanden ist; einem fünfjährigen intersektionellen Forschungsprojekt, das Raum für Künstler:innen of Color in überwiegend weißen Institutionen schaffen sollte, ohne dass sie sich dem Druck des „weißen Blicks“ aussetzen mussten.
Wir schreiben das Jahr 2020: Die Dozierenden der Zirkusabteilung der Stockholmer Universität der Künste behaupten, es gäbe kein Rassismusproblem. Darauf erwidere ich, dass es während meiner fünfzehnjährigen Tätigkeit an der internationalen Zirkusschule im gesamten Zeitraum nur zwei nicht-weiße Studierende und zwei nicht-weiße Dozierende gegeben hat. Ich füge hinzu, dass ich eine gemischte ethnische Herkunft habe, da meine Mutter aus den kapstädtischen Townships stammt und daher der Gruppe der „Coloured“ angehört. Ich selbst bin im multikulturellen Londoner Arbeiterviertel Elephant and Castle aufgewachsen. Daher bin ich es nicht gewohnt, dass Weiß einerseits allgegenwärtig und andererseits unsichtbar ist.3
Dennoch bin ich hell genug, um unterzutauchen, das „light-skin“ Privileg zeichnet mich aus. Als 2013 ein Projekt zum Thema Schwarzsein und Rassismus initiiert wird, wendet sich niemand an mich und fragt mich nach meiner Perspektive dazu. Obwohl ich die einzige Person bin, die tatsächlich davon betroffen ist. Eine Sache, die in mich eingeschrieben ist. Doch man nimmt mich auf diese Weise nicht wahr.
Den Vorfall von 2013 stempele ich als harmloses Versehen ab. Es ist für mich eine erste Lektion über das Verhältnis von schwedischer „Unschuld“ und der Komplexität von Rasse. Etwas, das mich, wie ich feststellen muss, sehr an die „unschuldige“ Blindheit im Blickfeld des Zirkusmilieus erinnert.
Ich „outete“ mich also als jemand, der die Sache tatsächlich erlebt hatte. Und so trat plötzlich ein Unbehagen zu Tage, so wie wenn ein schwarzer Bulle einen weißen Porzellanladen betritt. Die zarten, weißen Porzellankonstruktionen gingen dabei unvermeidlich zu Bruch. Sie fühlten sich in ihren institutionellen Positionen nicht mehr sicher und zu Hause. Denn eigentlich beherrschte ja etwas Abstraktes, Universelles den Moment. Etwas Objektives und Neutrales. Etwas, das als Wissen erachtet wird, über das wir aber nie zugeben würden, dass es gleichzusetzen ist mit Weißsein; wie die weißen Wände einer Galerie, die vorgeben leer zu sein, bis sie mit Kunst behangen werden. Von der wir aber alle wissen, dass sie in Wirklichkeit vor kolonialen Anklängen und Annahmen über „Rasse“ überquellen. Diese Fantasie des „Universellen“ hält die Vorstellung einer Meritokratie im Zirkus aufrecht. Das Video Brother dient als eine Gegenfantasie dazu.
In den zehn Minuten zuvor war das Expert:innengespräch über Schwarzsein zwischen den weißen Professor:innen noch einfacher gewesen. Als ich für sie noch eine Art „Neutralität“ verkörperte, frei von Adjektiven (Künstler:in of color, weibliche Athletin, Unternehmer:in mit Behinderung, queere Journalist:innen), so wie sich Weißsein eben selbst imaginiert. Alles war einfacher, als ich mich noch nicht auf der Kehrseite der Kolonialgeschichte befand. Ich fasste es als ein Versehen auf, stempelte es als meine erste Erfahrung in der Komödie des weißen Unbehagens ab und vergrub mich wieder. Ich tauchte unter, damit sie sich wieder zu Hause fühlen konnten. Von nun an würde ich entscheiden müssen, wann ich als Person of Color in Erscheinung treten würde und wann nicht. Die Bequemlichkeit der weißen Mehrheit scheint als eine meiner ungeschriebenen Aufgaben und so verrichte ich doppelte Arbeit.
So sieht eine Handlungsmacht bedingt durch Rassifizierung aus: Rasse als Tonerde, statt vom weißen Handwerker in Stein gemeißelt, der mir Steine in den Bauch näht und meine Taschen damit stopft. Rasse als Materie einer emanzipatorischen Poetik, nicht als Materie, die mich festhält und mich (her)unterdrückt.
Ich erschaudere, wenn ich das niederschreibe, aber wie kommt es, dass Weißsein zu einer Art Sicherheit geworden ist? Ist es der Mangel an Sensibilität oder ein Mangel an Zugehörigkeitsgefühl? Ich dachte, es würde Platz für mich einräumen. Für ein Ich, das keine Geschichte besaß.4
Von diesem Augenblick an wurde das Weißsein für mich zu einem Regisseur, der den Ton angibt. Eine unsichtbare Stimme, die aus dem dunklen Off Anweisungen ruft, Interpretationen eines Skriptes, aus dem wir alle rezitieren, manche bewusster als andere. Manche von uns lesen vom Blatt ab, weil die Schule des Lebens uns diese besondere Fähigkeit gelehrt hat – wir haben diese unbehaglichen Szenen bereits durchspielen müssen. Andere kennen das Skript auswendig und können es aus dem Stegreif wiederholen, ohne dass sie es merken. Und andere wiederum haben es nicht einfach gelernt, sondern es intensiv studiert, analysiert und setzen dann Techniken wie das „actioning“ ein, bei der man jeden Satz einer Performance mit einem transitiven Verb versieht. Durch die Verknüpfung dieser Technik mit dem Skript entscheiden wir bewusst darüber, wie wir unseren Text sprechen werden, wie wir mit Betonung und Rhythmus spielen. Wie wir z. B. ein Wort, das wir alle kennen, so aussprechen, dass es denaturalisiert wird, weil wir vielleicht an Geschichtlichkeiten und Geografien anknüpfen, die allen anderen am Tisch bislang fremd waren. Auch unser Umgang mit der Sprache ist doppelte Arbeit. Denn für uns bedeutet das, dass wir uns an mehreren Orten gleichzeitig aufhalten müssen, uns aber wiederum nicht, wie die weißen Professor:innen, zu Hause fühlen dürfen.
Double Agency – Doppeltes Handlungsvermögen
Wenn Schauspieler:innen aus Skripten vortragen, um ihre Vorsprechen zu bestehen, und Agent:innen wesentlich mehr Kontrolle über das Schreiben der eigenen Skripte haben, sind dann die Doppelagent:innen diejenigen, die simultan zwei Drehbücher beherrschen, aber in keinem von beiden wohnen und somit die Fiktion der monoperspektivischen Identität durcheinanderbringen? Schreibt man deshalb den Doppelagent:innen Eigenschaften wie seltsam, unheimlich oder gar heimatlos zu? Würde dies die desorientierende Wirkung des „Coming-Outs“ als Person of Color inmitten der Abstraktion weißer Professor:innen erklären? Und schaffen es Doppelagent:innen das von Unterwürfigkeit geprägte Spiel des „passings“ in ein aktives Zusammenspiel zu verwandeln?
Double Agency oder das doppelte Handlungsvermögen ist angelehnt an die Vorstellung von Double Consciousness (das doppelte Bewusstsein). Sie ist jedoch weder deckungsgleich mit den Ideen von W.E.B. Du Bois in The Souls of Black Folk und Fanon in Black Skin, White Masks, noch mit dem Konzept des dreifachen Bewusstseins, bei dem das Wechselspiel von Geschlecht, Sexualität und Schwarzsein die Positionalitäten der Identität in Relation zu normativen Machtverhältnissen noch komplexer macht.5 Vielmehr handelt es sich um die neutrale Annahme und geschickte Zusammenführung zweier Identitäten, um sich in einer dritten zu Hause zu fühlen - diese ist vielleicht eine Leere, die darauf wartet, vom normativen Text, dem Nichts der Metaphysik, gefüllt zu werden. Vielleicht ist es die Aufgabe der Doppelagent:innen, dass sie sich nicht zu- oder einordnen lassen, sondern stattdessen zum „weder-noch“, „und“ oder „sowohl-als-auch“ gehören. Multilingual und mehrerer Pässe besitzend, können sie vom einen in den anderen Zustand changieren, ihr „actioned“ Skript intakt, um gegenüber den ideologisch aufgeladenen kulturellen Vorurteilen als störend und desorientierend zu wirken – Vorurteile, die ihren Körpern aufgezwungen werden vom weißen Blick.
Der Weg diese mono-perspektivische Geschichte zu durchbrechen, damit diese multiplen Körper freigelassen werden, besteht darin, dass alle Ampeln der Intersektion auf Grün schalten und wir das daraus entstandene Blutbad feiern. Das, was in diesem experimentellen, metaphorischen Autounfall der Identität formuliert wird, ist affektgeladen und schweißtreibend, chaotisch mit widersprüchlichen, unangemessenen Einwürfen und Positionen.6 Eine Massenkarambolage an der Intersektion und der daraus entstandene, zerstreute Körper ist das, was ich aufsammele und in meine Tragetasche der Fiktion packe. Ein Körper, der durch die Kollision zerlegt wurde, als die Kreuzung, die zuvor in der Stoppposition feststeckte, damit man den Tag übersteht, für den gesamten Verkehr geöffnet wurde. Den Körper dazu zwingend, sich an das zu erinnern, was zuvor ausgeschlossen werden musste, damit er als Einbahnstraßennarrativ funktioniert - ein einstöckiger Körper, der versucht Sinn zu ergeben, der versucht, innerhalb des dominanten Skripts lesbar zu sein, doch nie mehr als ein Teilobjekt oder Fetisch ist. Ein angepasster Körper, der sich auf Zehenspitzen bewegt, der sich selbst deaktiviert, um sich den Regeln anzupassen, der sich selbst spaltet und somit möglicherweise den Prozess einer gesunden psychischen Entwicklung umkehrt. Das ist der Körper, der zumindest ein stückweit auseinanderfallen muss, wenn er einen neuen, aktiven und ermächtigten Weg finden will, um sich durch die Welt zu bewegen.
Sobald das kritische Bewusstsein für Intersektionalität die Potenziale des Körpers vervielfachen und seine divergierenden Geschichten enthüllt, wird es möglich, dass er sich selbst als zerstückelt wahrnimmt, als etwas Inkohärentes und Handlungsunfähiges. Dieses Gemetzel/Verständnis könnte der Beginn der Arbeit an der (Neu-)Konstruktion einer Körperästhetik sein, die im Stande ist, all diese Linien, Stimmen, Bewegungen der Geschichte und Bewegungen des Denkens in einem vollständigen Körper auszudrücken, der sich der leichten Einordnung in Systeme politischer, juristischer, sozialer oder kultureller Macht verweigert.
Dies erfordert eine Akzeptanz darüber, dass unterschiedliche Identitäten unterschiedliche Affekte hervorrufen. Also eher die Vorstellung einer Phänomenologie der Identität als die Konstruktion dessen. In diesem Text geht es also darum, wann und wo das Rassifizierte auf die Bühne tritt und wie es sich in einem Feld von blendendem Weiß verhält. Wright z. B. beschwört das „wann und wo“ des Schwarzseins und beschäftigt sich damit:
Wie und wo es imaginiert, definiert und aufgeführt wird, sowohl im übertragenden als auch im wörtlichen Sinne. Schwarzsein lässt sich nicht am Körper festmachen, weil es eine Vielzahl von Körpern gibt die Schwarzsein als Identität beanspruchen. Schwarzsein ist also größtenteils eine Frage der Wahrnehmung oder - wie der Theoretiker der Performance Studies E. Patrick Johnson feststellt - eine Frage der Momente der Performance, in denen die Performer:innen ihre Körper als Schwarz verstehen.7
Wenn Braun- oder Schwarzsein ins Spiel kommen, sind u.a. Wut und Trauer treibende Kräfte oder auch mit Scham verknüpfte Sexualität und Gender, das aus Angst heraus generiert wird – schweißtreibende, multimodale Affekte an unterschiedlichen Intersektionen. Während der Entwicklung des Films betone ich die Notwendigkeit eines sicheren Raumes, um an und mit diesen komplexen Affekten zu arbeiten, damit wir uns als Akteur:innen im sozialen Kontext weniger symptomatisch von ihnen leiten lassen und sie eher wirkungsmächtig als kritische Werkzeuge einsetzen können. Diese Affekte können in uns eine Selbstüberwachung erzeugen, die sich in Form von internalisiertem Rassismus, Homophobie oder Misogynie äußert – verschiedene Ausprägungen des doppelten Bewusstseins. Dass wir damit beschäftigt sind, uns selbst zu sabotieren, um am unteren Ende der Leiter zu verweilen, zeigt der Einfallsreichtum der vielen Unterdrückungsorgane und der umfangreichen, historisch eingebetteten Epistemologien, die eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass unsere „Minderwertigkeit“ Tag für Tag auf subtile Weise verstärkt wird. Die doppelte Arbeit, herauszufinden, ob dies oder jenes sexistisch, homophob oder rassistisch gemeint war oder nicht, hält uns beschäftigt und minimiert unser Handlungsvermögen im Vergleich zu denjenigen, die sich solche Fragen nie stellen müssen. Um Affekt als kritisches Werkzeug neu zu erfinden, müssen wir uns von Scham und Wut disidentifizieren. Wir müssen in die Affekte hineingehen und uns gleichzeitig von ihnen distanzieren, um sie auf diese internalisierte Maschinerie anzuwenden. Und was letzten Endes vielleicht noch wichtiger ist, sie pädagogisch auf diejenigen in komfortablen Positionen zurück zu projizieren, die in uns diese Gefühle überhaupt erst erzeugt haben.
Daher müssen wir uns vielleicht von der Vorstellung trennen, dass Kohärenz oder Kontinuität irgendeinen Nutzen für uns haben könnten. Vielleicht kommen wir sogar zu der Einsicht, dass es die Unterdrückung selbst ist, die uns zusammenhält. Rache, Wiedergutmachung, Abriss und Wiederaufbau müssen vielleicht von innen heraus geschehen, bevor wir mit Desinteresse, eventuell sogar mit Mitgefühl, auf die alltäglichen Mikroaggressionen und den unbewussten Rassismus/Misogynie/Homophobie blicken können, von denen viele von uns betroffen sind. Agent:innen handeln, anstatt Dampf abzulassen. Multivalentes und mehrdeutiges ästhetisches Handeln, der Wert der Täuschung und die Arbeit, sich nicht zu sehr an eine Identität zu binden, bis auf jene dritte unmarkierte Identität, die im Zwischenraum zwischen Staat und Nicht-Staat schwebt, das sind ein paar der Leitlinien der Double Agency für die ich plädiere. Die Ästhetik, die uns schon immer in die Karten gespielt hat (ihr könnt tanzen und singen, um euch und uns zu unterhalten, aber dort ziehen wir gleichzeitig die Grenze eurer Handlungsmacht), ist vielleicht immer noch unsere größte Verlockung. Eine Dragqueen of Color ist mehr als ein Mann, der sich als Frau verkleidet und zum Clown wird – vielleicht spielt sie eine aktualisierte Version des Coons . Unser Spiel ist kodifiziert und die Zuschauer:innen haben keine Ahnung, was wir da eigentlich tun.
Das Zusammenweben mehrerer widersprüchlicher Anteile von Identitäten stellt eine Form der Autonomie dar. Es ist die Fähigkeit, Körper als performative Agent:innen neu zu konfigurieren und definieren.8 Es ist der Wechsel von der (weißen, männlichen) Heldenreise zur (femininen, kollektiven, bunten) Tragetaschentheorie des Erzählens.9 Meine coon-hafte, queere Panther-Videofiktion funktioniert für mich besser als das, was mir die weiße Welt verkaufen will; ich will nicht in einer weiß-liberalen Fantasie leben, die mir vorschreibt wie Schwarzsein/Braunsein aussehen soll.
So etwas brauche ich nicht, um mich selbst zu definieren. Ich existiere außerhalb davon.
Und das ist das Ende des scheinbar unendlichen Prozesses der Analyse, wenn wir der Lacan'schen Psychoanalyse Glauben schenken mögen. Ein Bruch mit der basalen Fantasie, die unser Verlangen nach einer Anerkennung durch die Andersartigen aufrechterhält.
Heilung.
Fazit: Ontologie – Ein FutureBrownSpace.
Selbst die Verwendung des Wortes „weiß“ lässt sich im nordischen Kontext als Taktik der Desorientierung deuten. Es ist ein Zaubertrick oder noch eher eine Art Gegenmagie. "Weiß" war immer Schall und Rauch, Irrgarten und Illusionismus. Dadurch fungiert es als ein Theater der Verwirrung oder vielleicht sogar als eine Komödie, ein Slapstick von Subjekten, die mit unsicheren Begriffen und noch unsichereren Geschichten jonglieren, die Tag für Tag denaturalisiert werden. Die Erde bebt nicht gerade, aber sie wackelt, und reifizierte Konzepte verzerren und verdrehen sich.
Das Ausspielen der „weißen“ Karte ist wie ein großer Enthüllungsakt, der uns zeigt, dass das alles nichts als ein abgekartetes Spiel war, eine Inszenierung. Ja, wir sind alle reingelegt worden. Das Spiel wurde manipuliert. Der „Wow“-Moment ist jedoch nicht der Applaus, auch wenn weiße Fragilität unglaublich theatralisch sein kann, ja sogar histrionisch. Wenn der Mechanismus hinter der Illusion enthüllt wird, Staunen wir nicht darüber, wie raffiniert der Trick war. Was vielmehr hervorgerufen wird, ist eine Art ontologische, moralische Panik.
Vielleicht sollten wir als Doppelagent:innen unsere Karten nicht zu leichtfertig aufdecken.
Diese reaktive Arbeit der Fantasie, diese spaltende, reaktionäre Rachefantasie im Video muss also zuerst getan werden, bevor das, was ich als aktive Arbeit bezeichne, beginnen kann. Ich denke, dieser Film hat das Feld geräumt, er hat Platz geschaffen, ausgemistet - und wovon habe ich mich in diesem aufgeräumten Raum getrennt? Was wurde entrümpelt? Es ist wohl das Weißsein. Die Vorstellung von Weißsein als etwas, auf das man reagieren kann, gegen das man sich auflehnen kann, ohne die unbewusste Zensur, die Weißsein in einen Raum trägt. Dieser Raum ist frei von weißem Unbehagen, Scham, Tränen, Zerbrechlichkeit. Er ist nicht pervers (Sklaverei ist pervers, die radikale Spaltung zwischen Subjekt und Objekt ist pervers), er ist utopisch und flüchtig, ein notwendiger Schutzraum für die Art von Heilung, die wir brauchen, um uns aktiviert, statt reaktiv zu fühlen. Der Schmerz ist kollektiv, und wir müssen uns manchmal sinnlos fühlen, um wieder als sinnhafte Subjekte in die Welt zu treten. Je mehr ich in diesen flüchtigen Räumen arbeite – am Tisch, im Studio, beim gemeinsamen Schreiben, in der Kollaboration, seltener in der Öffentlichkeit, denn dort ist man zu laut, zu emotional oder einfach „übertrieben“ – desto mehr sammle ich die kleinen, alltäglichen Mikro-Aggressionen, die sich zu einer umfassenden Erschöpfung summieren, und desto mehr erkenne ich, erkennen wir das Bedürfnis nach etwas Entlastung.
FutureBrownSpace ist zu einer formalen Ressource innerhalb der Universität geworden, eine formale Lichtung innerhalb des institutionellen Raumes; ein Angebot für einen gegenwärtigen, notwendigen, separatistischen Raum, der eine von vielen möglichen Etappen auf dem Weg zur Versöhnung darstellt. Es ist ein transdisziplinäres Projekt, das die Bereiche Performance, Literatur, Psychologie, Pädagogik und Race/Gender Studies verknüpft, um transdisziplinäre Ideen für eine post-rassifizierte Zukunft zu entwickeln.
Ein Raum frei vom Weißsein wäre demnach ein Raum ohne eine spezifische, hinderliche Andersartigkeit und somit vermutlich ein Raum, in dem eine andere Art von Ethik unsere Vorstellungen von Relationalität und Identifikation prägen. Es könnte ein Raum sein, in dem Weißsein das geskriptete „Andersartige“ darstellt und daher nicht (temporär, einmalig oder für alle Ewigkeit) in den Prozess der Schaffung zukünftiger inklusiver Epistemologien miteinbezogen wird.
Übersetzt von Aminata Estelle Diouf
1 Zu Beginn nannte sich das Projekt noch FutureBlackSpace.
2 Aus der Reihe The MixRace MixTape von John-Paul Zaccarini und Peter Coyte.
3 Ahmed, Sara: Phenomenology of Whiteness. 2007. Sage. S.10.
4 Frei ins Deutsche übersetzt nach Gutierrez, Miguel: Does abstraction belong to white people? Veröffentlicht am 7.11.2018 im BOMB Magazine. https://bombmagazine.org/articles/miguel-gutierrez-1/ (letzter Zugriff am 24.2.2023).
5 Welang, Nahum: Triple Consciousness: The Reimagination of Black Female Identities in Contemporary American Culture. 2018. De Gruyter. Open Access: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/culture-2018-0027/html (letzter Zugriff am 24.2.2023).
6 Ahmed, Sara: Living a Feminist Life. 2017. Durham. Duke University Press. S.12.
7 Frei ins Deutsche übersetzt nach Wright, Michelle M.: Black Physics. The Epistemology of the Middle Passage. Minneapolis 2015. University of Minnesota Press. S.3.
8 Willkie, Angélique in einer mündlichen Circus Dialogues Lecture. Smells like Dialogue: A Circus Symposium. Gent 2020.
9 Le Guin, Ursula K.: The Carrier Bag Theory of Fiction. UK 2020. Ignota Books. (Der Text erschien erstmals 1988 in der Textsammlung Women of Vision. Essays by women writing science fiction, Hg. Denise Du Pont. 2020 wurde der Text ins Deutsche übersetzt.)