Im Chaos tanzen
Gestaltung einer feministischen Clownspraxis
Ein Text von Jacqueline Russell
Im Herbst 2020 lud mich Erin Pettifor ein, bei ihrer Solo-Clownshow Stigma, Pistil and Style Regie zu führen. Unsere gemeinsame Leidenschaft für feministische Forschung und schamlose Clownsarbeit brachte uns zueinander, um eine Show zu kreieren. Mit Vergnügen erkundeten wir unsere persönliche und politische Beziehung zu Lust, sexueller Handlungsfähigkeit, körperlicher Autonomie und reproduktionspolitischer Gerechtigkeit. Das Ergebnis unseres Schaffensprozesses war eine Show, die das Publikum als „zutiefst nachvollziehbar und wahnsinnig witzig“ bezeichnete.
„In einer Einzelkabine in der Toilette eines Nachtclubs wartet Vooma auf das Ergebnis ihres Schwangerschaftstests. Während die Minuten vergehen, beginnt ihr Körper, sich zu bewegen, sich auseinander zu setzen, freizulegen und aufzuwachen. Das Stück tanzt durch das kosmische Chaos und fragt, wie wir inmitten des unerbittlichen Trubels der Welt tief in uns hineinhören können.“1
Das Stück entstand während des andauernden Kampfes um den Erhalt von Gesetzen zum Schutz von Abtreibungsrechten, Reproduktionsrechten, sexueller Gesundheit und Sexualerziehung, und ebenso als Reaktion darauf. Die Wörter im Titel, Narbe (Stigma), Blütenstempel (Pistill) und Griffel (Stylus), beziehen sich auf die Anatomie der Fortpflanzung von Blumen. Der Titel des Stücks erinnert an die reiche Geschichte der Blumensymbolik als weibliche Sexualmetapher von Georgia O'Keeffe bis Frida Kahlo und verweist spielerisch auf die gesellschaftliche Stigmatisierung, mit der sowohl der Feminismus als auch die Clownerie häufig konfrontiert sind.
Die Schnittmenge von Clownswissen und feministischem Denken war der Schwerpunkt meiner Masterarbeit Feminist Clowning: Serious Pleasures and Strategic Possibilities. Dieses Projekt ermöglichte es mir, diese Forschung fortzusetzen und zu untersuchen, wie wir feministische Clownsarbeit definieren und gestalten könnten.
EINEN RAHMEN FÜR DIE FEMINISTISCHE CLOWN2 SCHAFFEN
In ihrem Buch Feminism Is for Everybody: Passionate Politics definiert bell hooks Feminismus als „eine Bewegung zur Beendigung von Sexismus, sexistischer Ausbeutung und Unterdrückung“, und so zielt die feministische Clown darauf ab, alle Formen der Unterdrückung zu stören, zu provozieren, zu parodieren und zu hinterfragen. Es drängt sich die Frage auf, ob das nicht alle Clowns tun. Meiner Erfahrung nach machen sie das nicht. Einige Clowns evozieren zwar Staunen, Verwunderung und Spielfreude, und das ist auch wesentlich und bedeutsam, aber sie setzen sich nicht aus einem kritischen Blickwinkel mit der Welt auseinander. Ich habe Clowns erlebt, die die Narrative der Unterdrückung verstärken, indem sie die Ausdrucksmittel und Stereotypen der Herrschaft nutzen, um ihr Publikum zum Lachen zu bringen. Ich möchte auch klarstellen, dass nicht alle weiblichen Clowns von Haus aus feministische Werke schaffen. Wie bell hooks feststellt, besteht eine der Tücken der feministischen Bewegung darin, dass „alles, was mit dem weiblichen Geschlecht zu tun hat, als feministisches Terrain angesehen wird, auch wenn es keine feministische Perspektive enthält“. In der zeitgenössischen Clownspraxis gibt es viele männliche und nicht-binäre Clowns, die sich in der feministischen Clownsarbeit engagieren.
Indem ich mich auf Forschende und Praktizierende der Clownerie sowie auf mein eigenes konkretes Wissen als Clown stütze, habe ich drei wesentliche Qualitäten der Clown und die Art und Weise, wie sie sich mit der feministischen Theorie überschneiden, identifiziert. So kann dann eine Hypothese formuliert werden, wie wir den Begriff „feministische Clownerie“ definieren könnten. Nach meiner Definition bewegt sich feministische Clownerie im Grenzbereich, ist kritisch und verspielt. Ich denke, dass diese Elemente anhand von feministischer Theorie und Kritik, insbesondere feministischer Theaterkritik, untersucht werden können, um feministische Clownsstrategien zu identifizieren und zu entwickeln. In A Concise Companion to Feminist Theory stellt Sara Ahmed fest, dass das, „was feministische Interventionen charakterisiert, die Annahme einer notwendigen Verbindung zwischen Theorie und Praxis ist, zwischen dem
Verständnis dessen, was wir zu transformieren versuchen, und den Handlungsformen, die eine solche Transformation ermöglichen“. In diesem Artikel versuche ich, Verbindungen zwischen Denkweisen über Feminismus und der gelebten Clownspraxis herzustellen, um herauszufinden, was sich aus diesem Zusammenspiel von Theorie und Praxis im Hinblick auf die feministische Clown ergibt.
IM GENZBEREICH – DER MAGISCHE RAUM
Clowns befinden sich in einem Grenzbereich. Sie existieren „sowohl innerhalb als auch außerhalb der dramatischen Fiktion“, und, wie Donald McManus in No Kidding! Clown As Protagonist in Twentieth-Century Theatre nahelegt, sie kommentieren die Handlung häufig ebenso innerhalb wie außerhalb der Erzählung. Was diese Grenzgänger- Qualität in der Clownsperformance ausmacht, ist die Beziehung zwischen Clown und Publikum. Man spielt eine Clownsfigur
nicht auf dieselbe Art und Weise, wie man Julia spielt, mit einer klaren Abgrenzung zwischen Bühnen- und Zuschauerraum. Man „spielt“ die Clown überhaupt nicht. Die Clown und die Person sind untrennbar. Der europäische Clownslehrer Jacques Lecoq war der Ansicht, dass „man kein Clown für das Publikum sein kann; man spielt mit einem Publikum“.3 Der kanadische Clownslehrer John Turner führt weiter aus: „Der Clown ‚existiert‘ nicht ohne Publikum der ganze Akt des Clowns ist ein Gespräch.“4
Die meisten zeitgenössischen feministischen Theatermacherinnen verfolgen einen disruptiven Ansatz für den performativen Raum und durchbrechen die Konvention der vierten Wand. In der Clownsperformance allerdings gibt es gar keine vierte Wand, die man durchbrechen könnte. In Impossibility Aside: Clowning and the Scholarly Context erklärt Julia Lane, dass für eine Clown die vierte Wand nicht vorhanden ist, weil es „im Clowntheater oft nicht einmal eine erste, zweite oder dritte Wand gibt. Die Aufführung des Clowns findet in einer Welt statt, aber es ist eine Welt, die nicht notwendigerweise durch die (physischen oder unsichtbaren und mit Phantasie erschaffenen) Wände des Aufführungsraums begrenzt ist; es ist eine Welt, die sowohl den Clown als auch das Publikum einschließt, die denselben Raum teilen, und zwar auf intime Weise“. Zu Beginn von Stigma, Pistil and Style kommt Vooma durch den Zuschauerraum herein. Mit einem Handtuch in der einen und einem Tablett mit Drinks in der anderen Hand tanzt sie sich durch die Menge und verkörpert das „Partygirl“ schlechthin. Sie beginnt eine lustige, energiegeladene Unterhaltung mit dem Publikum. Sobald sie im Toilettenraum (Bühne) ankommt, der mit Klopapier und Müll bedeckt ist, verändert sich das Gespräch. Voomas Kommunikation mit dem Publikum läuft nun über anzügliche Blicke und sie fragt die Menge tonlos, wer von ihnen hier so eine schreckliche Sauerei angerichtet hat. Nachdem sie die Verwüstung aufgeräumt hat, geht das Gespräch weiter, als sie sich auf die Toilette setzt und einen Schwangerschaftstest herauszieht. Dieser private Akt (die Durchführung eines Schwangerschaftstests) in einem öffentlichen Raum (der Toilette eines Nachtclubs) lässt die räumlichen Grenzen weiter verschwimmen. Voomas wiederholte Aufforderung an das Publikum
„Guckt weg!“, während sie auf das Stäbchen pinkelt, bestätigt die Realität ihrer Situation und kommentiert die Art und Weise, wie der Blick des Gesetzgebers und der Öffentlichkeit bei privaten Entscheidungen rund um selbstbestimmte Fortpflanzung ständig präsent ist. Lane setzt das Konzept des magischen Raums in der Clownsperformance in Bezug zu Räumen des Engagements, die in der feministischen Forschung ausgelotet wurden, etwa von bell hooks, die in Teaching to Transgress von einem Raum „am Rande“ spricht, „der ein Ort der Kreativität und der Kraft ist, dieser inklusive Raum, in dem wir uns erholen und uns solidarisch verbinden.“ Ich stimme mit Lanes Assoziation dieser Räume überein: Die grenzüberschreitende Natur der Clowns, die die traditionellen Regeln des mimetischen Raums im Theater überschreiten, spiegelt Prozesse in feministischen Denkweisen wider, welche die Binärstrukturen von sozialen und kulturellen Ideologien und Diskursen verwischen. Auf diese Weise kann die feministische Clown strategisch die Art und Weise ausnutzen, in der die „Störung der mimetischen Konventionen“, wie McManus vorschlägt, „in der Regel eine Störung der kulturellen Normen impliziert, und die Schwierigkeiten des Clowns mit den kulturellen Normen führen oft dazu, dass er die mimetische Konvention stört“. Indem sie mit dem Publikum spielt, verwickelt die feministische Clown ihr Publikum in ein Gespräch mit Möglichkeiten zur Veränderung.
KRITISCH – VERWENDE CLOWNSLOGIK
In The Feminist Spectator as Critic untersucht Jill Dolan, wie „der feministische Performance-Kritizismus im Bemühen um einen kulturellen Wandel als politische Intervention fungiert, da er die Art offenlegt, wie die herrschende Ideologie durch Performance fest verankert wird, indem der ideale Zuschauer angesprochen wird“. Fünfundzwanzig Jahre später räumt Dolan in The Feminist Spectator in Action ein, dass sich „seit 1988 sehr wenig geändert hat“, als sie zum ersten Mal argumentierte, „dass der Blick nach wie vor unverhohlen männlich ist“. Die Aufgabe der feministischen Kritikerin war und ist es daher, „den männlichen Kontrollmechanismus über das, was als universell oder sogar beachtenswert angesehen wird“ zu durchbrechen, indem sie andere Sichtweisen auf die Welt aufzeigt.
Eine der Regeln der Clownsperformance ist es, die „Clownslogik“ anzuwenden. Die Clownslogik ist eine Art, die Welt zu betrachten, die scheinbare Realitäten außer Kraft setzt. Eine Clown kann nach unten schauen und feststellen, dass sie die Schuhe an den falschen Füßen hat. Anstatt die Schuhe auszuziehen, könnte sie das Problem schnell lösen, indem sie die Position ihrer Füße ändert, was sowohl lustig ist als auch die Idee der „falschen“ Füße verkompliziert. Für das Publikum mag es immer noch „falsch“ aussehen, aber für die Clown sieht es richtig aus. Auf diese Weise löst die Clown Probleme, indem sie die Welt auf eine andere Weise betrachtet. In dieser Logik liegt der kritische Charakter der Clownsperformance.
Das Bühnenbild von Stigma, Pistil and Style besteht aus einem großen weißen Keramiktopf (WC Schüssel), der von neun kleinen weißen Blumentöpfen umgeben ist, die in einem Halbkreis angeordnet sind und jeweils eine Blume enthalten. Während des gesamten Stücks wird Vooma durch das Geräusch summender Insekten zu den Blumen gelockt, und wenn sie an ihnen riecht, dringt eine tiefempfundene Erinnerung in ihren Körper ein, die sie in einen Traumzustand versetzt, in dem sie von den „Regeln“ des Frauseins berichtet. „Regeln, nach denen man leben sollte“, von Vooma Shearth, 14 Jahre:
„Meistere die Kunst, nein zu sagen, ohne nein zu sagen.“ Nachdem sie, untermalt von Gesten, demonstriert hat, wie man Nein sagen kann, ohne Nein zu sagen, „Erstens: Lügen. Zweitens: Sag, mein Vater hat es verboten. Drittens: Hysterisch lachen“, wendet sich Vooma an das Publikum und fragt: „Wer ist zu einer kleinen Trainingseinheit bereit?“ Im Einvernehmen mit den Zuschauern, die das Spiel mitmachen wollten, stellt Vooma Szenarien dar, in denen männliche Darsteller Dinge sagen wie „Hey, du solltest dich im Bus neben mich setzen“. Wenn der Zuschauer versehentlich nein sagt, gibt Vooma ihm Tipps, wie er sein Spiel verbessern kann. Wenn die Zuschauer erfolgreich „Nein“ gesagt haben, ohne „Nein“ zu sagen, lädt Vooma das gesamte Publikum zum Feiern ein. Damit kritisiert sie die Art und Weise, wie Frauen sozialisiert und dazu angehalten werden, männliche Gefühle zu schützen, indem sie in einem mühsamen Spiel, das unmöglich zu gewinnen ist, indirekt kommunizieren. McManus erklärt: „Eine gute Clownsnummer wird in der Regel dadurch aufgelöst, dass der Clown eine Lösung für das anstehende Problem findet, die das Publikum überrascht, weil sie entweder nicht die Lösung ist, die es sich vorgestellt hatte, oder weil sie die gerade verwendete Theaterkonvention bricht. Die Lösung kann das Problem neu definieren“. Indem sie überraschende Lösungen anwenden, um Probleme neu zu definieren, üben Clowns eine kritische Praxis aus, die eine politische Metapher miteinschließt, da, so McManus, „die Beziehung des Clowns zur Struktur der mimetischen Welt ihr Äquivalent in der Machtstruktur der nicht-theatralischen Welt hat“. Somit engagiert sich die feministische Clown in einer Praxis, die verschiedene Arten der Weltsicht aufzeigt, sowohl als Clown als auch als Kritikerin.
VERSPIELT – BEFRIEDIGE DICH SELBST
Trotz ihrer kritischen Natur ist die feministische Clown nicht belehrend oder moralisierend. Die Anwendung der Clownslogik ist Teil des Clownsspiels, was oft zu einer weiteren Clownseigenschaft führt, nämlich der Notwendigkeit des Scheiterns. Ich saß einmal während einer Clownsvorstellung neben der bekannten europäischen Clown Iman Lizarazu. Während der gesamten Vorstellung murmelte Lizarazu leise vor sich hin: „Oh, gutes Problem. Ja, schönes Problem.
Hmmm ... das habe ich nicht verstanden.“ Sie war auf der Suche nach Problemen, denn sie wusste, dass die Clown durch den Versuch, ein Problem zu lösen und dabei zu scheitern, noch mehr Möglichkeiten zum Spielen findet. Dieser Begriff des Scheiterns, der in der europäischen Clownstradition als Flop bezeichnet wird, ist Teil des Dialogs zwischen Clown und Publikum. Üblicherweise, „enn der Clown durch sein Scheitern Gelächter auslöst“, so Louise Peacock, „bietet er ein Ventil zum Abreagieren und erlaubt es seinem Publikum, ein Gefühl der Überlegenheit zu genießen". Ich würde behaupten, dass das Lachen über das Scheitern der Clown auch aus einem Gefühl der Empathie heraus entstehen kann, weil man sich selbst in den Anstrengungen der Clown wiederfindet. In The Queer Art of Failure meint Judith Halberstam, dass „aus der Perspektive des Feminismus das Scheitern oft eine bessere Alternative war als der Erfolg. Während weiblicher Erfolg immer an männlichen Maßstäben gemessen wird und geschlechtsspezifisches Scheitern oft bedeutet, dass man von dem Druck befreit ist, patriarchalen Idealen zu entsprechen, kann das Scheitern als Frau unerwartete Freuden bieten“. Die feministische Clown kann das Lachen nutzen und die Idee des Scheiterns als von Vorteil und als Grund zum Feiern umdeuten. Der verspielte Charakter der Clown sollte nicht bedeuten, dass der Inhalt oberflächlich oder ohne dramatische Inhalte ist. Eine Regel der Clownsperformance lautet: „Befriedige dich selbst!“. Losgelöst von ihrer rein sexuellen Konnotation geht es bei dieser Regel um die radikalen Möglichkeiten, Genuss, Befriedigung und Freude durch ein zutiefst engagiertes Spiel zu erlangen. Die Clown kann sich in jedem emotionalen Zustand und bei jeder Art von Aktivität selbst befriedigen. Diese Ebene der intuitiven, gelebten Intensität kann „in der Tiefe der Qual, in der Tiefe der Freude und der Ekstase gefunden werden, sie kann sexuell sein, sie kann ein religiöser Rausch sein, sie kann alles davon sein, und sie kann unglaublich banal sein.“5
Gegen Ende des Stücks entdeckt Vooma in der Verkörperung einer Venusfliegenfalle ein tiefes Vergnügen. Die Pflanze hat einen unstillbaren Hunger nach Fliegen (dargestellt durch Schuhe) und leckt sich unersättlich die Lippen, während sie das Schuhwerk des Publikums beäugt. Jedes Mal, wenn ein Zuschauer ihr einen Schuh in den Mund (den Toilettendeckel) wirft, ruft sie: „ICH HAB IMMER NOCH HUNGER!“. Dieses unverblümte Streben nach Spaß steht in scharfem Kontrast zu früheren Szenen des Stücks, in denen Voomas Unfähigkeit zu sagen, was sie will, ihren Lustgewinn verhindert. Als sich alle im Publikum bereit erklären, ihr ihre Schuhe in den Mund zu werfen, kommt Vooma in einem Moment des köstlichen, ausgelassenen Chaos endlich selbst zum Höhepunkt.
Dieses Streben nach Lust ist für die feministische Clown von großem Nutzen, da sie so die Vorstellung davon als frivol, irrelevant oder „unfeministisch“ widerlegen kann. In Pleasure Activism: The Politics of Feeling Good stellt Adrienne Maree Brown eine Verbindung her zwischen dem, was Lebendigkeit in unseren Organismus bringt, und der Fähigkeit, persönliche, zwischenmenschliche und gemeinschaftliche Macht zu erlangen“. Die Politik der Lust zu erforschen, bietet, so Toni Cade Bambara, der feministischen Clown einen Weg, „die Revolution unwiderstehlich zu machen.“
IM CHAOS TANZEN
„Danke, dass ihr alle zu diesem Lobgesang für mein ungeborenes ... Selbst gekommen seid.“
Nachdem sie festgestellt hat, dass der Schwangerschaftstest positiv ist, lädt Vooma das Publikum zu einer Laudatio auf ihre ungeborenen Ichs ein. Vooma pflückt alle Blumen und wirft sie eine nach der anderen in die Toilette, während sie über ihre zukünftigen Identitäten nachdenkt: „Ich bin 40 und habe mindestens die Hälfte meiner Studienkredite abbezahlt.“ „Ich bin 55 und schlafe wie ein Baby in einem kalifornischen Kingsize-Bett neben einer Frau, in die ich wahnsinnig verliebt bin.“ Sobald die Toilettenschüssel mit Blumen ihrer zukünftigen Ichs überquillt, wiegt sie den kostbaren Strauß in ihren Armen und riecht genüsslich daran. Diese poetische Betrachtung ihrer Entscheidungen zusammen mit ihrer Entdeckung der wilden, ungehemmten Lust verwandelt den Raum von einer einzelnen Toilettenkabine in einen kosmischen Raum. Während sie in diesem Chaos tanzt und ihr Körper durch das Neonlicht der Schwarzlichtlampen wie ausgedehnt wirkt, erkundet Vooma die Möglichkeiten ihrer vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Identitäten. Ein Klopfen an der Tür holt sie in die Realität zurück, sie nimmt ihre Blumen und tanzt aus der Toilette, voller Vertrauen in ihre Entscheidung.
Viele der in Stigma, Pistil and Style behandelten Themen bringen sowohl Erin Pettifor als auch mich in Rage, aber unserer Erfahrung nach ist das Lachen oft die einzig gesunde Reaktion auf die Absurditäten einer patriarchalen Welt. Unsere Fähigkeit, kollektives Lachen zu erzeugen, lässt uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Wenn Elaine Aston und Geraldine Harris über feministische Zukunftsvisionen nachdenken, schreiben sie: „Wesentlich für jede Art von feministischer Politik war schon immer die Vorstellung, dass die ‚Zukunft‘ eine Frage ist, in Frage steht und nicht notwendigerweise durch die Vergangenheit oder die Gegenwart bestimmt wird. Stattdessen wünschen wir uns einen Feminismus, der sich mit uns vorwärtsbewegt oder uns in der Weiterentwicklung stützt."6 Die Fähigkeit der Clown, sich auf das Unbekannte einzulassen, ihre Vorstellungskraft zu nutzen, um eine Revolution zu planen und zu proben, bietet einen strategischen Ansatz, um feministische Zukünfte zu erschaffen. Über neue Möglichkeiten nachzudenken und diese auf der Bühne zu zeigen, beschreibt die Ziele der feministischen Clownspraxis am besten. Durch die grenzüberschreitenden, kritischen und verspielten Elemente der Clown können die Potenziale des Feminismus verwirklicht werden.
1 Pettifor, Erin: Stigma, Pistil, and Style. Pressemappe / Media kit. Calgary 2022.
2 In der Originalarbeit und somit auch in diesem Artikel verwende ich „sie/ihr“, um auf Clowns zu verweisen. Andere Wissenschaftler:innen wie Delphine Cézard verwenden das französische Wort „clowne“ oder „clownes“, um weibliche Clowns zu bezeichnen. Cézard merkt jedoch an, dass in dem Wort „clowne“ „die vorgeschlagene Änderung nicht hörbar ist und Frauen in dieser Kunstform weiterhin unsichtbar bleiben.“ Meine Verwendung der Pronomen „sie“ und „ihr“ soll weder nicht-binäre Clowns ausschließen noch Männer aus dem Bereich der feministischen Clownerie ausschließen. Vielmehr ist es ein bewusstes Experiment auf der Suche nach einem Gefühl. Wie fühlt es sich an, das Weibliche in einer Untersuchung über Clownerie in den Mittelpunkt zu stellen? Vgl.: Cézard, Delphine: „Are Female Clowns Politically Incorrect? A Case Study on Female Clowns’ Political Engagement at the 7th ‚Esse Monte de Mulher Palhaça‘ festival in Rio de Janeiro.“ In: Cadernos de Arte e Antropologia. Vol. 9, no. 1. Uberlandia 2020. S. 29–46. Anmerkung der Redaktion: Aus diesem Grund wurde in der Übersetzung die sprachlich noch ungewöhnliche Kombination von „die Clown“ gewählt. Bei den Zitaten wurde in der deutschen Übersetzung der männliche Artikel und das entsprechende Pronomen beibehalten.
3 Zitiert nach Peacock, Louise: Serious Play: Modern Clown Performance. Bristol 2009. S. 33.
4 Zitiert nach Lane, Julia: Impossibility Aside: Clowning and the Scholarly Context. Dissertation. Simon Fraser Universität 2016. S. 5.
5 Ebd. S. 37
6 Aston, Elaine / Harris, Geraldine: „Feminist Futures and the Possibilities of ‚We‘?“ In: Feminist Futures? Theatre, Performance, Theory. London 2006. S. 1–16.