This text is only available in German language.
10 Jahre für den Zeitgenössischen Zirkus in Köln
Jenny Patschovsky, Vorsitzende des BUZZ (Bundesverband Zeitgenössischer Zirkus e.V.)
Zeitgenössischer Zirkus ist die aufstrebende Sparte der Darstellenden Künste, die sich in Deutschland derzeit stark entwickelt. Die Ästhetik des Zeitgenössischen Zirkus lebt von seiner Vielfalt und dem Anspruch, künstlerische und körperliche Grenzen mit seinen zirzensischen Mitteln auszuloten und zu erweitern, auch indem er Symbiosen mit anderen Kunstformen eingeht. Er bespielt häufig unkonventionelle Räume und ermöglicht eine niedrigschwellige Begegnung zwischen Kunst und Publikum.
Der Bundesverband Zeitgenössischer Zirkus e.V. (BUZZ) trägt zu einem erheblichen Teil zur Weiterentwicklung und Sichtbarkeit der Kunstform bei. Der BUZZ wurde vor genau 10 Jahren in Köln als "Initiative Neuer Zirkus" gegründet. Damals gab es in der Stadt bereits eine lebendige Szene, die sich vor allem um die Zirkus-Kompanien Atemzug e.V. und Overhead Project sowie um das Zirkus- und Artistikzentrum Köln herum formierte.
Ziel dieser ersten Initiative war, die in Deutschland damals noch junge neue Zirkusform in der Region sichtbarer zu machen und die einzelnen Akteur*innen zu vernetzen. Köln und NRW hatten sich dank einiger günstiger Faktoren zu einem Knotenpunkt für die Szene entwickelt. Die Region liegt nahe bei einigen beliebten ausländischen Zirkushochschulen in Belgien, den Niederlande und Frankreich - immer mehr Artist*innen kommen nach ihrem Studium nach Köln, Düsseldorf und ins Ruhrgebiet mit dem Wunsch, dort zu arbeiten, Stücke zu produzieren und aufzuführen. In Köln gibt es darüber hinaus eine große professionelle Artist*innen-Szene, was auch an den zahlreichen Kinder- und Jugendzirkuseinrichtungen der Stadt liegt. Mit der Kompanie Overhead Project, die sehr erfolgreich in der internationalen Tanz- und Zirkus-Szene präsent ist, gibt es zudem einen Vorreiter im Feld Zeitgenössischer Zirkus-Tanz, der einen künstlerisch inspirierenden Anknüpfungspunkt bietet.
Das Engagement der "Initiative Neuer Zirkus" hat sich schnell auf weitere deutsche Großstädte ausgebreitet und der gemeinsame Wunsch nach Vernetzung, Strukturen und einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen brachte in kurzer Zeit viele Ideen und Aktionen hervor. Konsequenterweise folgte 2019 die Umstrukturierung in einen Bundesverband. Heute kann der BUZZ auf eine langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Netzwerkarbeit zurückblicken, seine Projekte besitzen mittlerweile eine bundesweite Relevanz. Der Verband bietet eine umfassende Informations- und Austauschplattform für die Akteur*innen der deutschen zeitgenössischen Zirkusszene durch seine Webseite sowie einen ausführlichen Newsletter, außerdem ist er Veranstalter von bundesweiten Netzwerktreffen, Veranstalter*innentreffen, lokalen Roundtables#Circus und Initiator des Förderprogramms „Zirkus ON“. Die über ganz Deutschland verteilten „Städtepole“ des BUZZ ermöglichen einen direkten Austausch mit der Szene und unterstützen sie bei der Selbstorganisation und Umsetzung ihrer Projekte.
In Köln fungiert der BUZZ mittlerweile als kommunales Netzwerk, das etablierte Künstler*innen mit dem Nachwuchs, Häuser und Festivals mit Einzelakteur*innen, Stadtzentrum mit Peripherie verbindet. Als Partner und Mitveranstalter initiiert und unterstützt er eine Vielzahl der lokalen Projekte, wie das "Labor Cirque", ein Rechercheprogramm zum interdisziplinären Inszenieren, und der "CircBIB", einer Zirkus-Bibliothek, die seit 2012 im Zirkus- und Artistikzentrum Köln aufgebaut wird. Mit den "Roundtables Circus#Köln" bietet der BUZZ regemäßige Vernetzungstreffen für die lokalen Akteur*innen an und fördert damit Informationsaustausch, Kooperationen, gemeinsame Strategien und das Teilen von Ressourcen. Das inhaltlich-künstlerische Format "Creation Lab" bietet eine Bühne für Experimente, Ideen und Work-in-Progress-Arbeiten vor einem fachkundigen Publikum. Darüber hinaus engagiert sich der BUZZ in Köln in diversen kulturpolitischen Interessensvertretungen der Stadt.
Viel Entwicklung gibt es ebenfalls im Ruhrgebiet, wo neben Aufführungen und Training die Produktion von Shows aus dem Bereich Zeitgenössischer Zirkus/ Urban Arts im Vordergrund steht. Die Ruhrfestspiele Recklinghausen haben „Neuen Zirkus“ seit 2019 zu einer der vier wesentlichen Programmsäulen des Festivals erhoben und zeigen - ebenso wie die Flottmannhallen Herne und das Pumpenhaus Münster - nicht mehr nur große ausländische Zirkus-Produktionen, sondern setzen vermehrt auf die Zusammenarbeit mit lokalen bzw. deutschen Kompanien. Die geplante Ausbildungsstätte "Open Space Academy" in Bochum geht auf den Erfolg der URBANATIX Show-Produktionen und der Trainingsstätte „Open Space“ zurück. Mit ihr würde eine Lücke im Ausbildungsweg von Nachwuchsartist*innen geschlossen und zugleich ein Grundstein für den Aufbau eines Zirkuszentrums NRW gelegt, das Produktion, Kreation, Aus- und Weiterbildung, Aufführung und Recherche verbindet. Der BUZZ wirkt als Berater und Unterstützer dieses zukunftsweisenden Vorhabens.
Seit über zehn Jahren ist auch das "Düsseldorf Festival!" ein wichtiger Akteur bei der Präsentation und der Öffentlichkeitsarbeit für den Zeitgenössischen Zirkus. Dazu kommt seit 2019 das Kölner TANZPAKT Stadt-Land-Bund Projekt "CircusDanceFestival" der Kompanie Overhead Project, ein bundesweit einzigartiges Modellprojekt für die Kombination aus Festival, Residenz- und Kooperationsprogramm, Jugend- und Nachwuchsförderung, Hochschulkooperation und Symposium.
Insgesamt erfährt der Zeitgenössische Zirkus in NRW eine langsam zunehmende Offenheit der Förderinstitutionen und steht vor allem seit der Ruhrkonferenz 2019 und der Gründung des Labels „Neue Künste Ruhr“ vermehrt im Zentrum kulturpolitischer Aufmerksamkeit. Dennoch muss nach wie vor um die selbstverständliche Einordnung in die darstellende Kunst gekämpft werden. Es gibt bisher keine kommunalen oder Landes-Fördermaßnahmen, die sich gezielt an freischaffende Zeitgenössische Zirkuskünstler*innen, Spielstätten oder Produktionsorte richten und somit nachhaltig Aufführungen, Produktionen, Research und Residenzen aus dieser Sparte fördern.
Erfreulicherweise gibt es dafür auf Bundesebene im Zusammenhang mit dem Programm „NEUSTART Kultur“ aktuell eine spezifische Förderung für Produktionen des Zeitgenössischen Zirkus, vergeben über den Fonds Darstellende Künste mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Und auch der BUZZ erhielt aus dem Programm eine Förderung für mehrere Projekte, die in diesem Jahr unter dem Titel „Upcoming:Circus!“ realisiert werden.
Seit den ersten Anfängen in Köln im Jahr 2011 ist sehr viel passiert. Die Fortschritte und die Lebendigkeit des Zeitgenössischen Zirkus in Deutschland ist dem außerordentlichen Engagement und der Kreativität von sehr vielen Einzelakteur*innen zu verdanken. Sie alle eint die gemeinsame Vision, dieser wundervollen Kunstform einen Nährboden zu bereiten, auf der sie wachsen und sich entfalten und gleichzeitig anregen und inspirieren kann.